Sudetenbezirke Warnsdorf, Rumburg und Schluckenau
Die Besiedlung
Im Jahre 1300 bestehend 16 Waldhufdörfer mit durchschnittlich 30 Bauernfamilien (etwa 200 Personen) und Städtchen mit je etwa 200–300 Einwohner, zusammen etwa 4000 Bewohner.
Im 14. Jahrhundert wachsen die Gärtnerdörfer zu. Sie sind meist sehr klein.
Die Hussitenkriege 1419–1471 bringen den ersten schweren Rückschlag, 1475 werden 106 Bürger, 539 Bauern und 28 Gärtner gezählt, zusammen 673 Familien, etwa 4500 Personen.
Ab 1500 Besiedlung der Au mit Auhäuseln. 1566 zählt das Niederland in den Städten etwa 560, in den Dörfern 2712 Familien, zusammen rund 3270 Familien oder ungefähr 18000 Einwohner.
Der Dreißigjährige Krieg und die Gegenreformation bringen den zweiten schweren Rückschlag.
1654 werden im Niederland neben 433 unbewohnten Häusern, 2276 bewohnte untertänige Häuser verzeichnet. Sie werden schätzungsweise 13000 Bewohner beherbergt haben.
1715 zählte das Niederland 22333 Bewohner. Es bleibt ungewiss, ob als Bewohner nur die Personen über 12 Jahre oder die Gesamtbevölkerung gezählt wurde.
Nun erfolgte infolge der sich rasch ausbreiteten Industrie und der Gründung von 55 Dörfern auf herrschaftlichen Grund ein gewaltiger Bevölkerungsaufschwung.
1820 haben die Herschaften Rumburg, Schluckenau und Hainspach zusammen bereits 57954 Einwohner, mit dem Anteil der Herrschaft Böhmisch-Kamnitz hat das Niederland etwa 67000 Bewohner. Das ganze Niederland ist bereits außerordentlich dicht besiedelt, besonders die Herrschaft Rumburg zeigt 1831 eine Volksdichte, „wie sie nicht leicht irgendwo wieder angetroffen werden dürfte“.
1880 beträgt die Einwohnerzahl des Niederlandes 108 622, 1910 wird mit 126744 Bewohnern der Höchststand erreicht. Auf 1 km² entfallen im Bezirk Warnsdorf 496, im Bezirk Rumburg 352, im Bezirk Schluckenau 303, im Niederlande 358 Bewohner.
Aufschwung bis 1914
Seit etwa 1750 hatte sich die Wirtschaft bedeutend gewandelt. Aus den Mühlen und aus vielen Gärten sowie aus Au– und Dominikalhäuseln waren Kleinfabrikanten hervorgegangen. Zur Erzeugung von Leinwand und Damast kam ab 1786 auch die Verarbeitung der Baumwolle. Die Bauern blieben bei der Landwirtschaft. Nur vereinzelt wandet sie sich der Industrie zu. Nach der Einführung der Dampfmaschinen nach 1823, und der mechanischen Webstühle wuchsen manche Betriebe, besonders die aus Mühlen und Gärten entstandenen, zu Großunternehmen heran, die viele Menschen beschäftigten und auch besser bezahlten. Dadurch wurden viele Fremde herangezogen.
Anfang des Jahres 1840 wurden die Herrschaftsämter aufgefordert, ein Verzeichnis der untertänigen Steuergemeinden mit dem beiläufigen Flächeninhalt der Gebäude und Grundstücke vorzulegen. Das Oberamt Rumburk meldete am 24.03.1840 34 Steuergemeinden. In den Jahren 1841-43 erfolgte die geometrische genaue Aufnahme der Orte durch den Geometer.
Die kleinen Dörfer wurden mit dem nächsten großen Dorfe zu einer Katastralgemeinde zusammengefaßt, die später meist auch politische Gemeinde wurde.
Die kleinen, bisher selbständigen Dörfer wurden dem nächsten größeren Ort eingemeindet, dabei erfolgte oft eine durchlaufende Neunumerierung der Häuser.
Der Bau von Häusern war dringend notwendig. Anfangs waren noch Bauplätze auf der Gemeindeau und auf den ehemaligen Meierhofsfeldern zu finden. Dann aber musste man sich an die Besitzer der Bauerngüter und Gärten wenden. Wahrend die Güter bisher nur ganz ausnahmsweise durch Teilungen, Abzweigungen von einzelnen Ruten oder Abtrennen von Erbstücken verkleinert worden waren, weil die Gesetzte dem entgegenstanden, kam es nun, besonders seit 1866 infolge des starken Aufschwungs der Industrie, immer öfter vor, das große Teile aus Bauerngütern zu Bauplätzen aufgeteilt wurden. Manche Bauern gaben bis zu 2/3 seiner Äcker und Wiesen auf Baugrund hin, einzelne Gehöfte wurden ganz aufgeteilt und die Familien wanden sich der Industrie zu. Das Ortsbild änderte sich vollkommen.
Rückgang 1918 – 1938
Auch die Industriekrise im neuen tschechoslowakischen Staate trug ein übrigens bei, die Bevölkerungszahl sinken zu lassen. Infolge des neuen Strebens der Regierung, die hochentwickelte sudetendeutsche Industrie niederzudrücken und die Industrie in den tschechischen Landesteilen großzuziehen, sank die Ausfuhr der Erzeugnisse des Niederlandes ständig, so das im Bezirk Warnsdorf allein von 1929 bis 1934 3000 Arbeiter entlassen werden mussten. Sie wanderten zum Teil ab.
Nach der Errichtung des tschechischen Staates am 28.10.1918, wurde der Zuzug kinderreicher tschechischer Familien ins Niederland seitens der neuen Regierung nach Möglichkeiten betrieben. Auch tschechische Garnisonen kamen nach Rumburg und Warnsdorf. Die Soldaten nahmen anfangs wie die Einheimischen an den Wahlen teil. Besonders heftig war der Eroberungsdrang auf dem Gebiet der Schule. Während deutsche Parallelklassen geschlossen wurden, sobald die Schülerzahl unter 60 sank, wurden tschechische Klassen mit geringerer Schülerzahl hochgezüchtet.
Das Vordrängen der Tschechen zeigt ein Beispiel an der Stadt Warnsdorf. Im Jahre 1930 hat Warnsdorf bereits 7 %, Teichstatt durch den Bahnhof fast 25 % Tschechen.
Beim Umsturz im September-Oktober 1938 gehen die meisten der seit 1918 zugewanderten Tschechen (Neutschechen) in ihre Heimat zurück, während die Alttschechen, vielfach mit deutschen Frauen verheiratet, meist im Niederlande bleiben.
Durch den 1. Weltkrieg, die Unterdrückungspraktiken der tschechoslowakischen Regierung und das Abwandern von Neutschechen und Juden sinkt die Einwohnerzahl bis 1939 wieder auf 111988 Einwohner.
Neues Leben 1938 – 1945
Das Niederland wurde laut Münchner Abkommen vom 29.09.1938 am 2. und 3. Oktober 1938 von der deutschen Wehrmacht besetzt und sofort dem Deutschen Reich angeschlossen.
Die Arbeitslosigkeit wurde rasch abgebaut, die Verkehrsdichte außerordentlich gesteigert, rege Bautätigkeit setzte ein.
Beim Anschluss des Sudetenlandes ans Altreich im Oktober 1936 wanderten viele Neutschechen und Juden aus dem Niederlande ab. Auch manche deutsche Sozialdemokraten und Kommunisten gingen ins Ausland. Deshalb erscheint die Einwohnerzahl von 1939 vielfach auf dem Stand von 1880 zurückgeworfen.
2. Weltkrieg 1939 – 1945
Es war ein noch größerer Aderlass als der 1. Weltkrieg. Doch konnten die Verluste infolge des Umsturzes im Mai 1945 zahlenmäßig nicht mehr genau erfasst werden.
Warnsdorf hatte im 1. Weltkrieg etwa 800 Tode und Vermisste. Im 2. Weltkrieg waren bis zum 8.5.1945 560 Tode durch Zeitung bekannt geworden. Die letzten Kriegsmonate hatten aber die meisten Opfer gefordert.
Der Umsturz verhinderte ihre Erfassung. Dazu kommen die Vermissten, deren Zahl im Jahr 1945 für Warnsdorf nur ganz schätzungsweise mit etwa 400 angenommen werden konnte.
Man wird sie nun zu den Toten rechnen müssen.
Mit dem Tag des Waffenstillstandes am 9.5.1945 schließt vorläufig die Geschichte der deutschen Besiedlung des Niederlandes.
Fleißige, zähes, tüchtiges Streben hatte in 705 Jahren auf dem Boden der einstigen Urwälder eine blühende Kulturlandschaft geschaffen.
Karl Richter „Die Geschichte des Niederlandes“ – Die Besiedlung – 1960