Über dem Land hatten sich dunkle Wolken zusammengezogen, und die Kasernen des 42.Infanterieregimentes in Theresienstadt war leer geworden. Einige Offiziere wurden schon im Sommer in das nordböhmische Grenzgebiet versetzt, wo leichte Befestigungen gebaut wurden. In Theresienstadt war nur die Regimentskommandeur und ein Wachbataillon zurückgeblieben. Im August 1938 waren die meisten Teilabschnitte der Schöberlinie fertiggestellt, wodurch sich auch der Druck des nazistischen Nachrichtendienstes immer mehr verstärkte. Die Septemberverordnung zur Bereitschaft der Truppe und des Nachrichtendienstes sowie die Anordnung zur Verstärkung der ersten Angriffswelle setzten die Einheiten der Armee in höchste Bereitschaft.
42. Infanterieregiment
Anfang September wurden die ersten Reservisten einberufen. Ein Teil von Ihnen wurde in der alten theresianischen Kaserne eingekleidet und ausgerüstet. Der Rest beim Ersatzbataillon in Weißwasser (Bělá pod Bezdězem). Weitere Ausrüstungsstandorte befanden sich in Böhmisch Kamnitz (Česká Kamenice) und Steinschönau (Kamenický Šenov). Nach der Einkleidung und Ausrüstung wurden die Reservisten sofort zur Verstärkung der ersten Angriffswelle in das nordböhmische Grenzgebiet abtransportiert. Das 42. Infanterieregiment grenzte bei Bilin (Bílina) an das erste Grenzbataillon. Es besetzte die Befestigungen um Bodenbach (Podmokly), Aussig (Ústí), Bensen (Benešov nad Ploučnicí), Böhmisch Kamnitz (Česká Kamenice), Kreibitz (Chřibská), sowie das Schluckenauer (Šluknovský), Rumburg (Rumburský) und Warnsdorf (Varnsdorfský) Gebiet bis nach Neuhütte.
Nach dem Plan der Grenzsicherung hatte die voraussichtlich angenommene Front seiner Bataillone eine Länge von 82 km. Zur Mobilisation stellte das Ersatzbataillon des 42.Infanterieregimentes außer einem Feldregiment noch das 92.Infanterieregiment B und das 151.Regiment ZLO (záloha leteckě obrany – Reserve der Luftverteidigung). Nach Einreihung dieser Maßnahmen erreichte die Truppe eine Stärke von 12.000 Mann. Östlich bei Margarethendorf (Mařenice) knüpfte das 42.Infanterieregiment an die Stellung des 2.Infanterieregimentes aus Böhmisch Leipa (Česká Lípa). Noch weiter nach Osten befand sich die Verteidigungslinie des 44.Infanterieregimentes aus Reichenberg (Liberec), welches im Isergebirge (Jizerské hory) durch zwei Wachbataillone verstärkt war. Am 1.September 1938 wurde das Wachbataillon Nr. XXII., welches die hügelige und bewaldete Umgebung des Schöbers verteidigte, zum vierten Bataillon des 42.Infanterieregimentes umbenannt.
Sechs im Kampfraum eingesetzte Bereitschaftsabteilungen, verstärkt durch Panzer und Panzerautos, hatten ihre Feuertaufe mittlerweile schon bestanden. Zu Einsätzen kam es in Bensen (Benešov nad Ploučnicí), Sandau (Žandov), Dittersbach (Jetřichovice), Haida (Nový Bor), Dauba (Dubá), Karbitz (Chabařovice) und weiteren Orten. Die Städte Schluckenau (Šluknov), Rumburg (Rumburk), Warnsdorf (Varnsdorf), Böhmisch Leipa (Česká Lípa), Steinschönau (Kamenický Šenov), Böhmisch Kamnitz (Česká Kamenice), Bodenbach (Podmokly) und Aussig (Ústí) sind Orte mit einer uns feindlich gesinnten Bevölkerung. So beschrieb der Kommandeur des 42.Infanterieregimentes in einer Meldung die Lage im Herbst 1938.
Nun ging es nicht mehr um eine Demonstration der Stärke, wie bei der Abriegelung der Grenze im Mai, sondern um einen Kampf mit einem tückischen Gegner. Vom nazistischen Geheimdienst der Wehrmacht organisierte Abteilung mit der Bezeichnung „K“ oder „M“ Organisation konnten jedoch im Grenzgebiet keine wesentlichen Erfolge erzielen. Sie haben vor dem Eintreffen der Wehrmacht nicht eine einzige Stellung erobert, um das Tor im Wall zu öffnen. Im Vorfeld kam es schon am 22.September zu Geplänkeln zwischen Mitgliedern der SdP (Sudetendeutsche Partei) und Wachen der SOS (Stráž obrany státu – Wache zur Verteidigung des Staates), welche sich aus drei Soldaten, einem Gendarmen und einem Mitglied der Finanzwache zusammensetzten. Diese Plänkeleien fanden jedoch nicht in unmittelbarer Nähe der Verteidigungslinie statt. In der Vormittagsstunde des 22.September empfing der diensthabende Offizier in der Nachrichtenzentrale der 3.Division Leitmeritz eine schlechte Nachricht nach der anderen. Für viele dieser Nachrichten könnte er Oberleutnant Alexa danken sowie den Wachen SOS aus dem Regimentsabschnitt ZH (Zajištení hranic – Grenzsicherung) des 42.Infanterieregimentes.
Sudetendeutsche Freikorps
Einheiten des Sudetendeutschen Freikorps hatten mit dem Druck auf den Schluckenauer Zipfel begonnen. Durch den Verrat der Bezirkshauptmänner in Rumburg (Rumburk), Schluckenau (Šluknov) und Warnsdorf (Varnsdorf) und nach dem der Kommandeur der Warnsdorfer SOS-Kompanie Oberleutnant Jansa sich der Warnsdorfer SdP-Führung angeschlossen hatte, kam es zum Durchbruch auf fast der ganzen Linie des Reichenberger SOS-Bataillons. Es war in diesem Teil des Grenzgebietes die stärkste Einheit, welche das Vorfeld sicherte. Wer könnte zog sich zur Verteidigungslinie zurück, die anderen fielen in Gefangenschaft. Nach diesem Putsch von Henleins Sudetendeutschen Partei wurden Schluckenau (Šluknov), Rumburg (Rumburk) und Warnsdorf (Varnsdorf) von Ihnen beherrscht.
Es gab keine fähigen Einheiten, diesen Durchbruch, welcher zur Hauptverteidigungslinie führte, zu unterbinden. Die sechs Bereitschaftsabteilungen waren nicht im Stande, die Beobachtungs- und Verteidigungspositionen an der Grenze wiederherzustellen. Um 23:00 Uhr übergab die Kommandostelle DOMINIK vom 33.Grenzabschnitt dem Kommandeur des Ersatzbataillons vom 42.Infanterieregiment in Weißwasser (Bělá pod Bezdězem) ein wichtiges Phonogramm, welches in Eile von Leutnant Trejbal übernommen wurde: „Das Divisionskommando befielt, daß alle freien Männer sofort bewaffnet und mit Handgranaten versorgt werden. Sie begeben sich mit ihren Offizieren schnellstens nach Böhmisch-Leipa (Česká Lípa) und melden sich sofort bei Oberst Navrátil ...“Es handelt sich um die letzte Reserve, welche gemeinsam mit den Assistenzeinheiten des 42.Infanterieregimentes noch eingesetzt werden konnte.
In der Nacht vom 22.September zum 23.September bekam der neue Kommandeur des 42.Infanterieregimentes Oberst des Generalstabes Navrátil vom Divisionskommando als Verstärkung noch das 1.Bataillon des 47.Infanterieregiment aus Jungbunzlau (Mladá Boleslav) zugeteilt mit dem Befehl zur Unterdrückung des Putsches im Grenzgebiet.
Hauptverteidigungslinie
Das 1.Bataillon des 47.Infanterieregimentes zusammen mit den Einheiten des 42.Infanterieregimentes begann am 23.September um 9:00 Uhr den Vorstoß gegen Schönlinde (Krásná Lípa). Die Putschisten leisteten nur einen geringen Widerstand, so daß der Bataillonskommandeur Major Klor melden konnte:“ Bei der Säuberung der Stadt und ihrer Umgebung sind wir auf keinen namhaften Widerstand gestoßen. Es genügten ein paar Garben aus dem Maschinengewehr, und die Putschisten waren verschwunden…“
Von diese morgendlichen Vorstoß, welcher den Schluckenauer Zipfel von den Putschisten säubern sollte, berichtete der Kommandeur einer Kompanie des 47. Infanterieregimentes Stabskapitän Spaček: “Bei Tagesanbruch überschritten wir die Verteidigungslinie am Schöber. In der Ferne war Maschinengewehrfeuer zu hören. Bald darauf kam der Befehl zum Einsatz. Meine Kompanie gehörte zur zweiten Einsatzwelle, und wir bewegten uns in der Mitte des Bataillons in Richtung St.Georgental (Jiřetín pod Jedlovou). Am Spätnachmittag erreichte die erste Welle ohne Widerstand die Orte Warnsdorf, Rumburg und Nixdorf (Mikulášovice). Die zweite Welle drang in Schönlinde ein und bereitete sich zur Übernachtung vor. Den ganzen 23.September wurden wir nicht verpflegt, trotzdem kam es zu keinem Disziplinverstoß. Auf den Wegen begegneten wir Flüchtlingen, welche hinter der Schöberlinie Schutz suchten. Unter ihnen waren viele deutsche Sozialdemokraten und Kommunisten, welche uns baten, dass wir sie nicht im Stich lassen sollten. Zu rührenden Szenen kam es mit Kindern, und uns wurde dabei bange.“
Zu den letzten Schießereien kam es an den Straßenkreuzungen in St.Georgental und Schönborn, wo vom Freikorps der Zugang nach Warnsdorf und Rumburg verteidigt wurde. Genau um 16:00 Uhr drangen die Soldaten, unterstützt von drei leichten Panzern, in das Zentrum von Warnsdorf ein. Von einer Anhöhe hinter dem Bahnhof beobachtet der Bataillonskommandeur, wie Gruppen von Zivilisten, welche auf Leiterwagen das nötigste mitführten, über die Grenze flohen. Ihnen folgten Freikorpsmitglieder und ihre Verbündeten von der SA und SS. Gegen 18:00 Uhr abends, als die Soldaten in den Warnsdorfer Straßen nach versprengten Freikorpsmitgliedern suchten, pfiff vom Bahnhof her eine Lokomotive. Den Eisenbahnern war es am Nachmittag gelungen, die beschädigte Strecke instand zu setzen, so daß ein Panzerzug in die Stadt einfahren konnte. Seine auf die Stadt gerichtete Kanonen und Maschinengewehre lösten unter der Bevölkerung Schrecken aus. Noch vor der Dämmerung verließ der Panzerzug die Stadt und begleitete die Einsatztruppe nach Rumburg (Rumburk). In Warnsdorf beschlagnahmten die Soldaten zwei Lastwagen mit Waffen und eine Funkstation der „Abwehr“. Der festgenommene Bezirkshauptmann Czika und weitere prominente Warnsdorfer ließ Oberst Navrátil in das Gefängnis des Bezirksgerichtes in Böhmisch Leipa (Česká Lípa) eskortieren. Das Blatt hatte sich gewendet, und die Armee hatte den größten Teil des Schluckenauer Ausläufers fest in ihrer Hand.
Schluckenauer Zipfel
In der Nacht vom 23.September zum 24.September hatte sich die Lage jedoch schnell geändert. Verständnislos beobachteten die Einwohner Warnsdorf hinter ihren Gardinen, wie sich motorisierte Kolonnen der Armee zusammenreihten. Aus der Stadt wurden die letzten Soldaten zusammengezogen, welche sich der SOS-Wachen anschlossen. In der Nacht hatte die tschechoslowakische Regierung die Mobilisation angeordnet, deshalb mußten sich alle Armeeinheiten zur Hauptverteidigungslinie am Schöber zurückziehen. Das Landeswehrkommando in Prag hatte beschlossen, daß vor der Hauptverteidigungslinie nur SOS-Wachen operieren dürfen. Auch das Bataillon des 47.Infanterieregimentes kehrte in seine Ausgangsposition zurück. Dieser Einsatz gegen die Putschisten war nicht der einzige, denn sie hatten ebenfalls Rumburg (Rumburk) und seine Umgebung fest in ihrer Hand.
Rumburg
In Rumburg (Rumburk) hatte bisher nur die Kaserne des 3.Bataillons vom 42. Infanterieregimentes standgehalten. Sein Kommandeur, Oberstleutnant Martinec, schilderte die Ereignisse des 23.September in Rumburg folgend:
Es war ein sehr schöner warmer Tag, und der Herbst hatte gerade begonnen. Trotzdem war über den ganzen Schluckenauer Ausläufer der Ausnahmezustand verhängt worden, und es kam an diesem Tag überall zu Unruhen, für welche die Mitglieder der Sudetendeutsche Partei sorgten. Das Geschehen an diesem Tag konnte man mit einem Putsch vergleichen. Nicht anders war die Lage in Rumburg (Rumburk), wo nur noch die letzte Kaserne standhielt. Schon am Vormittag versammelte sich die Rumburger Bevölkerung am Marktplatz, und es waren mehrere tausend Leute zusammengekommen. Aus dem Fenster meines Büros sah ich in der ganzen Umgebung Hakenkreuzfahnen Wehen. Kurz vor 10:00 Uhr zogen die letzten SOS-Wachen in die Kaserne zurück. Sie bildeten in der Stadt kleine wichtige Inseln und waren der fanatischen Menschenmenge auf Gnade und Ungnade ausgeliefert. In manchen Teilen der Stadt wurden einige von ihnen entwaffnet, weil die Soldaten von ihren Waffen keinen Gebrauch machen durften, was ihren Dienst sehr erschwerte. Als ich gegen 10:00 Uhr die Polizeiexpositur anrief, blieb das Telefon stumm, und ich war der Meinung, das man die Telefonleitung unterbrochen hatte. Auf meinem Befehl war ein Offizier mit einem Stoßtrupp in das Postamt eingedrungen und musste dort feststellen, dass die Telefonistin ohnmächtig am Boden lag. Sie war ohne Ablösung 48 Stunden im Dienst gewesen, wobei die große Ungewißheit und Nervenbelastung ihren Zustand verursacht hatte. Den Dienst übernahm ein Telefonist aus der Kaserne und das gerade zur rechten Zeit, denn kurz nach 11:00 Uhr konnte er mir ein Eilgespräch aus Böhmisch Leipa (Česká Lípa) übergeben. Das Gespräch war kurz und verlief folgend:“ Herr Oberstleutnant notieren Sie sich die Zeit, es ist 11:16 Uhr. Führen Sie Parole ORLIK durch! Ist Ihnen die Parole klar? Herr Major, ich habe verstanden und werde ORLIK durchführen.“ ORLIK bedeutet den verschärften Schutz der Staatsgrenze, und so war der weitere Aufenthalt in der Kaserne zwecklos geworden. Es bestätigte sich, wie gut es war, daß ich diese Situation vorausgesehen hatte und die 10.Kompanie nach Böhmisch Leipa verlegte. Auch die 11.Kompanie hatte ich mit allen Maschinengewehren ins Vorfeld der Schöberlinie eingesetzt. Die 9.Kompanie war auf dem Rumburger Bahnhof mit dem Verladen überschüssigen Materials beschäftigt. Um 15:00 Uhr war die Einwaggonierung beendet, und der Zug, von einer starken Eskorte bewacht, verließ dampfend den Bahnhof in Richtung Böhmisch-Leipa. Um14:45 Uhr verstummte das Telefon für immer, und unser Telefonist kehrte mit der Nachricht in die Kaserne zurück, daß die ganze Stadt in den Händen der Putschisten ist. Die letzte Möglichkeit zur Überbringung einer Meldung waren unsere vier Brieftauben. Zwei von ihnen wurden auf meinen Befehl mit der Nachricht losgelassen, daß sich das Bataillon vorbereitet, die Stadt zu verlassen. Gegen 15:30 Uhr füllten sich die Wege um die Kaserne mit Rumburger Einwohner, welche zum größten Teil aus Frauen bestanden. Sie schrien und beschimpften uns und forderten, daß wir die Stadt verlassen. Mein Ultimatum war eindeutig:“ Solange sich vor der Kaserne ein einziger Mensch befindet, bleiben wir und eröffnen das Feuer. Gleichzeitig forderten wir die Rückgabe der beschlagnahmten Waffen.“ Das hatte gewirkt, die Menschen um die Kaserne waren verschwunden, und die Waffen bekamen wir zurück. Am Spätnachmittag um 16:45 Uhr , gesichert durch eine Vor- und Nachhut, hat das Bataillon ohne einen Zwischenfall Rumburg verlassen. Erst in Schönlinde waren gegen uns einige Schüsse gefallen, wir waren jedoch schnell Herren der Lage geworden. Genau 22:00 Uhr erreichten wir die Hauptverteidigungslinie und trafen in tiefster Nach in Böhmisch Leipa ein.
Soweit die Erinnerung von Oberstleutnant Martinec zur Lage in Rumburg.
Rumburger Bataillon
Mit dem Rumburger Bataillon hatte sich auch der dort operierende Nachrichtenoffizier Leutnant Bada nach Böhmisch Leipa abgesetzt. In Rumburg hatte er die Stelle von Oberleutnant Alexa* übernommen, welcher jetzt in Theresiensstadt (Terezín) tätig war. Auf der Regimentskommandantur stellten sie gemeinsam fest, daß aus ihrer ehemaligen Agentur nichts übriggeblieben ist. Die Verbindungen sind alle unterbrochen, und sie müssen notwendig neue Nachrichten über die Situation an der Grenze gewinnen. Diese Aufgabe erhielt Leutnant Bada, welcher sich schnell mit dem in Tannenberg stationierten Unteroffizier Jerabek in Verbindung setzte. Dem Unteroffizier Jerabek waren in Tannenberg (Jedlova) die Eisenbahnpflüge Nr.151 und 152 unterstellt. Sie sollten zur Zerstörung von Schienensträngen eingesetzt werden. Mit diesen beiden mit Pflügen versehenen Lokomotiven begaben sich Leutnant Bada und Unteroffizier Jerabek mit seiner Einheit am 24.September 1938 um 7:00 Uhr auf das von Putschisten besetzte Gebiet. Die Aufreißmechanik wurde von 20 Eisenbahnern bedient und von weiteren vier Infanteristen gesichert. Problemlos kamen sie bis zum Wärtehaus Nr. 410 unweit der Kote 512 und fuhren weiter bis auf den Bahnhof Schönlinde. Während der Fahrt beobachtet Leutnant Bada aus dem Führerstand der Lokomotive mit seinen Fernglas die Umgebung. Anhalten! befahl Erden Lokführer, und die Lokomotive blieb nach einigen Metern mit quietschenden Bremsen stehen. Nebenan aus dem Wald kamen einige Frauen und Männer herbeigelaufen, sie waren auf der Flucht. Während der Weiterfahrt hatte sich Bada ihre Aussagen in die Feldkarte verzeichnet. Er interessierte sich hauptsächlich über die Stärke und Bewaffnung der Putschisten. Als sie in Gärten (Zahrady) ankamen, führ der Pflug Nr.152 als Erster los und hatte sich gleich hinter dem Bahnhof die Pflugscharen beschädigt, welche von den Eisenbahnern ausgewechselt wurde. Auf einmal würden Sie von den neben den Häusern liegenden Hängen beschossen. Die Soldaten erwiderten das Feuer und kämmten mit einem leichten Maschinengewehr die Hänge ab. Die unbewaffneten Eisenbahner hatten im Waggon bei den Flüchtlingen Schutz gesucht. Die Soldaten könnten die Angreifer bald in den Wald verdrängen, so das die Eisenbahner ihre Arbeit beenden konnten.
Bei der Rückfahrt nach Schönlinde wurden die Pflüge eingesetzt, welche die Schwellen wie Streichhölzer zerbrachen und den Schienenstrang verbogen. Hier wieder Gegner nicht mehr durchkommen! Ungefähr 300 m nördlich des Bahnhofes Kreibitz–Teichstatt blieben sie vor einer zerstörten Brücke hilflos stehen. Die Gleise ragten hoffnungslos in den Himmel, und die Strecke war übersät mit Trümmerteilen. Ein eigenes Sprengkommando hatte kurz zuvor die Brücke zerstört. Vereinzelte Gruppen von Pionieren waren zur Zeit des Putsches im Vorfeld tätig und zogen immer wieder die Aufmerksamkeit des Gegners Aufsicht. Auch wenn sie nur mit Pistolen und Gewehren bewaffnet waren, führten sie doch eine mächtige Waffe mit sich, nämlich einige Zentner Ekrasit. Sie unterminierten Brückenpfeiler und andere Objekte, welche bei Gefahr in die Luft gesprengt werden konnten.
Oberkreibitz
Der Gefreite Novy sicherte mit einigen Soldaten die Bahnstrecke 200 m östlich des Bahnhofs Ober-Kreibitz (Horní Chřibská); um 10:00 Uhr des 24.September hörte er nördlich seines Standortes zwei mächtige Detonationen. Der Gefreite wußte, daß die Pioniere im Vorfeld tätig sind. Von einem starken Gegner angegriffen kehrten die Pioniere jedoch bald zurück. Bevor sie sich zurückzogen, führten sie die Befehle aus und sprengten die Brücke. Darauf ging der Gefreite Novy mit einigen Freiwilligen das Gelände erkunden. Im Wald waren sie mehrmals auf Putschisten gestoßen. Bei der zerstörten Brücke in Teichstatt (Rybniště) entdeckten sie die dampfende Lokomotive mit ihrer Besatzung.
Die Situation der Pflüge war mehr als kritisch, aber auch jetzt wußte sich der Leutnant Bada zu helfen. Ohne Begleitung machte er sich auf den Weg nach Tannenberg (Jedlová). Das Bahnhofstelefon war noch in Betrieb, so dass er sich mit dem Regimentskommando in Verbindung setzen konnte. So konnte er seine Erkenntnisse an Oberleutnant Alexa [1] weitergeben und erhielt den Befehl, mit seinen Leuten die Strecke befahrbar zu machen. Der Forstadjudant Hajek, welcher versuchte, die die Freimachung der Pflüge zu sabotieren, wurde festgenommen. Drei Tage dauerte es, bis die Trümmer weggeräumt und die Strecke wieder befahrbar war. In dieser Zeit kehrte Leutnant Bada mit den Soldaten nach Kreibitz-Teichstatt zurück, wo sie etliche Hausdurchsuchungen vornahmen. Im Gemeindeamt könnten Sie 30.000 Kronen retten, welche der sozialdemokratischen Textilarbeiter-Gewerkschaft gehörten.
Zwar war es den Putschisten gelungen, die Pflüge am 24.September auf den Bahnhof nach Kreibitz-Teichstatt zu bringen, deshalb kam am 25.September Leutnant Bada ein Panzerzug zu Hilfe.
Oberleutnant Alexa – Nachrichtenabwehr [1]
Die Eisenbahner reparieren schnell die absichtlich beschädigten Lokomotiven und koppelten alle sich im Bahnhof befindlichen Waggons an. Dasselbe wurde auch in Kreibitz (Chřibská) wiederholt. Nach drei Tagen kehrten sie endlich Verteidigungslinie zurück und fuhren weiter nach Böhmisch Leipa (Česká Lípa), wo sie auf dem Bahnhof stürmisch begrüßt wurden. In den Patronentaschen der Soldaten war nurmehr wenig übriggeblieben.
Ins Vorfeld der Hauptverteidigungslinie wurde noch ein Ausfall vorbereitet. Am 26.September 1938 kam vom Kommando RUZENKA der Befehl zu einem Vorstoß gegen Schönlinde (Krásná Lípa). Es Beteiligten sich daran drei Züge Infanterie, drei Panzer und drei Panzerautos der Bereitschaftseinheit. Den Befehl zum Vorstoß in den Raum Teichstatt (Rybniště) – Schönlinde (Krásná Lípa) erhielt der Kommandeur der 10.Kompanie des 42. Infanterieregimentes am 26.September. Seine Einheit sollte im Vorfeld die Pflüge frei machen und aus dem Krankenhaus in Schönlinde verwundete Soldaten in Sicherheit bringen. Neben dem Kommandeur, einem Hauptmann, setze sich Oberleutnant Alexa in die Kabine des ersten Fahrzeugs. Auf ihrem Weg wurde die Kolonne einige Male von den Putschisten angegriffen und erreichten bald den Marktplatz in Schönlinde. Dort richteten zwei Panzer ihre Kanonen in die Hauptstraße, der dritte Panzer war von Infanterie begleitet zum Krankenhaus vorgestoßen, wo die verwundeten Soldaten übernommen wurden. Als dann am Marktplatz ein Schuß fiel, riegelten die Soldaten die Stadtmitte sofort ab. Es war schon dunkel geworden, als die Kolonne die Stadt verließ. Auf dem Rückweg wurde sie erneut von den Putschisten angegriffen. Es geschah unweit eines Waldrestaurantes, ungefähr zwei bis drei Kilometer südlich von Schönlinde, wo es zu dieser Schießerei gekommen war. Unteroffizier Merath drehte den Turm seines Panzerautos den zuckenden Flammen entgegen und bemerkte „ Zwei Kradfahrer waren vor mir abgesessen und eröffneten ebenfalls das Feuer, welches aus einer unweit gelegenen Villa kam. Hinter mir fuhr das dritte Panzerauto, dann folgten sechs LKWs mit Infanterie. Das Panzerauto hinter mir feuerte ebenfalls auf die Villa, und auch die abgesessene Infanterie hatte sich an dem Gefecht beteiligt…“, erzählte später der Unteroffizier. Als ihm der Kommandeur der 10.Kompanie vorwarf, daß er angehalten habe und nicht weitergefahren sei, antwortete Merath: „Herr Hauptmann, ich habe keinen Befehl erhalten, und meine Pflicht war nicht weiter zufahren, sondern der Infanterie hinter uns zu schützen.“.. dieser Ausfall im Vorfeld konnte jedoch die Lage im Ausläufer nicht ändern, und die Putschisten behielten dort die Oberhand. Sie hatten sich aller Ortschaften bemächtigt und blockierten Wege und Straßen.
Das 1. und 2. Bataillon des 42. Infanterieregimentes aus Theresienstadt (Terezín) hatte gleich nach dem Ausbruch des Putsches seine Stellungen in den leichten Befestigungen der Hauptverteidigungslinie eingenommen. Das 2.Bataillon im Abschnitt Billin (Bílina) und entlang der Elbe. Es verteidigte 48 leichte Befestigungen auf einer 23 km langen Linie. Das 1.Bataillon knüpfte im Aussiger Raum an und verteidigte einen 35 km langen Abschnitt, teilweise an der Elbe, dann in Richtung Bensen (Benesov). Diese Abschnitte blieben von der Aktionen der Putschisten verschont. In dem Augenblick, wo jeder Soldat und Offizier den Befehl zum Kampf erwartete, kam ein ganz unerwarteter Befehl zur Kapitulation. Nach der Unterzeichnung des Münchner Abkommens folgten in den nächsten Stunden die ersten Befehle, welche Grenzgebiete als erste übergeben werden. Alle Einheiten des 33.Grenzgebietes, einschließlich des 42.Infanterieregimentes, setzten sich in die neue Stellung auf der Linie Melnik-Weißwasser (Bela) ab.
[wp-svg-icons icon=“book“ wrap=“i“] „Regimentschronik“ Kommando des II.Armeekorps Königgrätz 1936 bis 1938; Kommando der 3.Division in Leitmeritz; Infanterieregiment Nr.42 Theresienstadt; Wachbataillon Nr.XXII
[wp-svg-icons icon=“newspaper“ wrap=“i“] „Unser Niederland“ – S.325/326 – Ausgabe November 2001
[wp-svg-icons icon=“newspaper“ wrap=“i“] „Unser Niederland“ – S.353/354 – Ausgabe Dezember 2001
[wp-svg-icons icon=“newspaper“ wrap=“i“] „Unser Niederland“ – Kommissar Geißlers Trümpfe “ – S.31/32 – Ausgabe Februar 2003
[wp-svg-icons icon=“newspaper“ wrap=“i“] „Unser Niederland“ – S.257 – Ausgabe September 2004