Parchen-Schelten

  • Beitrags-Kategorie:Landkreis Tetschen-Bodenbach
  • Beitrag zuletzt geändert am:15. Mai 2024
  • Lesedauer:22 min Lesezeit

Gemeindebereich

Die Gemeinde Parchen – Gerichtsbezirk Böhmisch-Kamnitz- bestand aus den Ortschaften Parchen und Schelten. An die erstere grenzten in südöstlicher Richtung die Ortsteile Emanuelsberg, Pflaume und Freudental mit der Parchenmühle an. Etwas abgesetzt gegen Osten lag das Bildsteinhaus, mitten in Parchen der Kühlberg/Kuhberg mit der Kühlbergbaude.
Mundartliche Aussprache des Ortsnamens: „Parch‘n“, „Schelt‘n“.
Gesamtfläche der Gemeinde: 227 ha (ohne die Ende der 20er Jahre eingemeindete Ortschaft Emanuelsberg: 150ha).

Ortsgeschichte

Das Gebiet der nachmaligen Ortschaften Parchen und Schelten gehörte seit 1283 zur älteren Herrschaft Scharfenstein und kam 1535 zur Herrschaft Kamnitz, die in jenem Jahre infolge Erbteilung im Haus Salhausen abgetrennt und selbstständig geworden war. Bei dieser Herrschaft, die sich bis 1614 in Wartenberger Besitz und von diesem Zeitpunkt an in den Händen der Familie Kinsky befand, verblieben Parchen und Schelten bis 1850, als beide Orte dem GB Böhmisch-Kamnitz eingegliedert wurden. Das Gebiet der erst im 18. Jahrhundert gegründeten Ortschaft Emanuelsberg liegt an der äußersten Nordgrenze der ehemaligen Herrschaft Oberliebich. Es kam daher 1850 an den Kreis Böhmisch-Leipa und wurde erst nach dem Ersten Weltkrieg in den GB Böhmisch-Kamnitz umgegliedert.

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Gemeinde Parchen als Ganzes

Bei rückblickender Einbeziehung von Emanuelsberg nahm die Bevölkerungsentwicklung folgenden Verlauf: 789 Einwohner im Jahre 1833, 1046 im Jahre 1869, 1051 im Jahre 1890 (bis dahin ausschließlich Deutsche), 1159 im Jahre 1910 und 1279 im Jahre 1930 (Höchststand). Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich durch Zuwanderung von tschechischen Glasarbeitern eine nicht unbeträchtliche Minderheit entwickelt, die 1933 331 Köpfe = 25,9% der Gesamtbevölkerung ausmachte, was auch im damaligen Familiennamenbestand etwas zum Ausdruck kommt.
Die häufigsten Familiennamen in der Industriegemeinde Parchen-Schelten waren 1934: Palme, Glößner, Kreibich, Lorenz, Scholze, May, Zincke, Günther, Heller, Kürschner, Pohl, Werner, Fiedler, Gottelt, Jarosch, Oppelt, Wenzel, Hille, Jockmann, Klominek, Petschenka, Pavlas, Seemann, Strohbach, Austen, Häusler, Heinrich, Karban, Meltzer, Müller, Richter, Rößler, Uhle, Vater, Zahn, Zaruba. Wegen des häufigsten Vorkommens des Familiennamen Palme wurde in Parchen wie auch in Steinschönau die Namen vielfach durch Anhängen eines charakterisierenden Wortes unterschieden, beispielsweise Palme Ober, Palme Unter, Palme König, Palme Jons.
Zusätzlich biografische Angaben: Von 1908 bis 1945 war Josef Rudolf (* Tollenstein 1883, ♰ nach 1958) Lehrer bzw. Oberlehrer in Parchen, auch jahrelang Bürgermeister und Sparkassendirektor sowie Dirigent der Sängerriege.
Aus Parchen stammten: Max Rössler (1893-1955), ein hervorragender Glasgraveur; der nahrhafte Glasmaler Franz Simm (Schulpreisträger in Steinschönau 1911); Paul Zincke (1879-1848), Dr. phil., Literarhistoriker, Schriftsteller.

Ortsteile Gemeinde

Schelten

Neder gibt 1560 als Gründungsjahr von Schelten an, ohne jedoch einen Hinweis auf die betreffende urkundliche Stelle zu benennen. Paudler weist auf ein Steinschönauer Fuhr- und Fußwegeverzeichnis von 1579 hin, in welchem „der Schelten“ erwähnt ist, schließt aber nicht aus, dass es sich lediglich um eine Geländebezeichnung handelte. Die älteste völlig eindeutige Nennung des Ortes datiert von 1615, da damals der Dorfrichter in einer Steinschönauer Glockenurkunde erwähnt wurde. Man kann daher wohl annehmen, dass der Ort einige Zeit zuvor in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden war. Die beträchtliche Höhenlage (570 m), der wenig ertragreiche steinige Boden und die geringe Zahl von Hofstellen (7 Gärtner, kein Vollbauer) charakterisieren Schelten alt Spätrodung. Das Dorf war als einseitiges Reihendorf mit langen parallellaufenden Wirtschaftsstreifen angelegt worden.
Die Bedeutung des Ortsnamens ist nicht völlig geklärt. Dass ein Zusammenhang mit Schelten= Schimpfen besteht, ist kaum anzunehmen. Da dem Ortsnamen offenbar ein alter Geländenamen zugrunde liegt, dürfte darin die Erklärung zu suchen sein. Nach Schmeller (Bayrisches Wörterbuch, S. 397) bedeutet Schelten so viel wie grießiger bis steiniger, unebener Boden, was mit dem Zustand der Felder und Wiesen in Schelten gut übereinstimmt.
Die Schreibung des Ortsnamens ist – mit Ausnahme der Steuerrolle, die „Sselten“ ausweist – stets „Schelten“ gewesen (Theresianischer Kataster, Müller’sche und Josefinische Landkarte, Schaller und Sommer).
In der StR von 1654 ist Schelten mit 6 Gärtnern (jeweils 4 bis 6 Strich Acker) und 2 Häuslern nachgewiesen; es gab somit 8 Häuser. Die Namen der Gärtner lauteten Lorenz, Helzl, Horn und Thomas; die beiden Häusler hießen Helzl. Es sind dies fast ausschließlich Namen, die auch im nahe gelegenen Steinschönau vorkamen.Die Schenke wurde von einem Lorenz geführt.
Gemäß dem TK von 1713 war die Zahl der Häuser auf 13 gestiegen, wovon 8 auf Wirte und 5 auf Häusler entfielen. Sieben Wirte mit dem Lorenz, Gleßner, Horn, Wenzel, Wetzig und Zincke besaßen zwischen 11 und 18 Strich Acker; es müssen daher in den 60 Jahren seit der Steuerrolle weitere Flächen urbar gemacht worden sein. Von den Einwohnern betätigten sich 2 als Glasschneider, 2 als Landgänger mit Glas, 1 als Siebmacher, 1 als Gastwirt und die übrigen als Spinner.
Laut der Schaller‘schen Topographie (1787) war Schelten auf 22 Nummern gewachsen und laut der Sommer’schen Topographie (1883) hatte der Ort 44 Häuser mit 222 Einwohnern, die größtenteils Glasverarbeitung und Glashandel betrieben.
Bis zum Ersten Weltkrieg nahm die Einwohnerzahl von Schelten infolge des Aufschwungs der Glasindustrie beträchtlich zu, nämlich über 367 Personen im Jahre 1869 und 402 im Jahre 1890 auf 525 im Jahre 1910. In dieser Zahl waren 87 hauptsächlich als Glasarbeiter zugezogene Tschechen mitenthalten. Die Zahl der Häuser betrug damals 80. Bei den folgenden Volkszählungen seit 1921 wurde die Ortschaft Schelten nicht mehr gesondert nachgewiesen, sondern ist in den Gesamtzahlen der Gemeinde Parchen eingeschlossen.

Parchen

Aufgrund der im 18. Jahrhundert verfassten Chronik des Steinschönauer Richters Christoph Knechtel ist überliefert, das Parchen 1630 auf herrschaftlichen Gründen angelegt wurde. Der Ortsname, der vermutlich von einem Geländenamen übernommen wurde, bedeutet so viel wie eingefriedeten Ort, Gehege oder Zwinger (bei Städten meist zwischen äußerer oder innerer Befestigung). Es handelt sich offenbar um die mitteldeutsch-schlesische Wortform „Parchen“, die zu hochdeutschem „Pferch“ zu stellen ist. Möglicherweise befand sich auf dem Gelände „Parchen“ in früherer Zeit eine Tierhaltung. Die Schreibung des Ortsnamens lautet in allen zugänglichen Quellen (Theresianischer Kataster, Josefinische Karte, Schaller und Sommer) steht’s „Parchen“, lediglich die Müller’sche Landkarte von 1720 verzeichnet „Porchen“.
Gemäß dem TK von 1713 hatte das dominikale „Dörflein Parchen“ 46 Häuser. Von den Einwohnern betätigten sich je 2 als Glasschneider, Glaser und Fenstermacher, 1 als Glas- und Lederhändler und 16 als Landgänger mit Glaswaren. Aus dieser Zeit und den folgenden Jahrzehnten sind die Familien Palme, Hannel, Stolle und Zahn überliefert. Johann Josef Zahn, Sohn des Parchener Müllers Zahn, hatte ein Glasgeschäft mit Niederlassungen im Ausland.
Der Topograph Schaller (1787) führte den Ort mit 56 Nummern auf und der Topograph Sommer (1833) mit 78 Häusern und 486 Einwohnern, die sich fast ausschließlich mit Glasbearbeitung und Glashandel beschäftigten und die Glaswaren vornehmlich nach Italien verkauften.
Die Volkszählung zeigten im 19. Jahrhundert zunächst einen Anstieg auf 599 Einwohner im Jahre 1869 und 651 im Jahr 1880 (Höchststand), weiterhin aber eine leichte Abnahme über 558 (1890) auf 531 fast ausschließlich deutsche Einwohner im Jahre 1910. Es war dies die letzte getrennte statistische Nachweisung der Ortschaft.

Emanuelsberg

Dieser Ort wurde Mitte des 18. Jahrhunderts auf Veranlassung der Herrschaft Oberliebich gegründet, die sich seinerzeit im Besitz des Großpriors des Malteserordens, Emanuel Reichsgrafen von Kolowrat befand. Zur Zeit Schallers (1787) bestand der Ort nur aus 4 Nummern und zur Zeit Sommers (1833) aus 12 Häusern mit 61 Einwohnern. Bis 1910 war eine Vergrößerung auf 16 Häuser mit 103 Einwohnern eingetreten. Entsprechend der Zugehörigkeit zur Herrschaft Oberliebich wurde Emanuelsberg 1849 als Ortschaft der Gemeinde Sonneberg/Kreis Böhmisch-Leipa zugeteilt. Wegen der viel näheren Lage zu Parchen, wohin Emanuelsberg schon lange eingeschult war, erfolgte jedoch nach dem Ersten Weltkrieg die Umgliederung der etwa 40 Häuser mit 200 Einwohnern umfassenden Ortschaft zur Gemeinde Parchen.

Die industrielle Entwicklung in Parchen-Schelten

Die – bei der gegenwärtigen Quellenlage- älteste namentlich nachweisbaren Firmen in Parchen-Schelten sind die Glasgeschäfte des Georg Karsch und des Lazarus Knechtel, die in Dänemark Handel trieben. Um 1716 handelte ein Elias Palme in Nantes/Frankreich und starb dort. Johann Josef Zahn in Parchen unterhielt um 1720 Niederlassungen in Lyon, Nancy und Paris. Über die weitere Entwicklung dieser Firma ist nichts bekannt.
Im Jahre 1724 wurde in Schelten die Firma Josef Palme gegründet, die zuerst Glasraffinerien betrieb, aber bald auf Lustererzeugung umgestellt wurde. Aus ihr gingen zwei berühmte Kristall-Lusterfirmen hervor, nämlich Christoph Palme & Co. in Parchen und Reinhold Palme in Haida (ab 1859). Beide bestanden bis 1945 in ihren Heimatorten und wurden nach der Vertreibung in der Bundesrepublik Deutschland neu gegründet.
Für das Jahr 1785 sind in Parchen außer der Firma Christoph Palme auch die Glasgroßhandelshäuser Franz Palme & Co. sowie Krauß / Krause sowie Palme & Co. bezeugt, welche nach Italien und in die Niederlande exportierten. Im Jahre 1820 waren in Parchen u. a. die Glaskugelei Wenzel Scholz und die Glaskugelpoliererei Benedikt Scholz tätig, und 1825 gab es in Schelten die Lusterfabrik Anton Wagner, in Parchen die Glasraffinerie Ignaz Palme & Co. (1815-1847), Nachf. Ernst Palme und 1836 ebenfalls in Parchen die Glasraffinerie Johann Seidel.
Das Jahr 1829 brachte die Gründung der Steingut- und Porzellanfabrik Josef Palme in Schelten, die ab 1851 an Ignaz Balle und 1860 an Eduard Eichler überging, der die Produktion von Siderolith, Terrakotta, Majolika und EMail aufnahm. 1893 übernahm die Firma Renger diesen Betrieb, der dann vor dem Ersten Weltkrieg eingestellt wurde.
Im Jahre 1841 arbeiteten in Parchen 3 Glasraffinerien. Ende 1875 beschäftigte die Glasindustrie in Parchen-Schelten-Emanuelsberg 105 Meister, 62 Gesellen, 16 Lehrlinge und 76 Arbeiter. Gemäß einem Firmenverzeichnis von 1886 gab es in Parchen-Schelten 7 Glasgeschäfte, und zwar in Schelten Ferdinand Uhle (gegr. 1860) und Christoph Palme & Co. (gegr. 1724), in Parchen Sebastian Zinke, Raffinerie und Lusterfabrik, Ernst Palme (gegr. 1830), Heinrich Melzer (gegr. 1871), Kajetan May und Ignaz Franz May. Die gleichen Firmen außer Ignaz Franz May bestanden auch 1914; hinzugekommen waren in Schelten die Rohglashütte Stefan Hrdina (gegr. 1908) sowie in Parchen das Glaswaren-Exportgeschäft Emil Günther (gegr. 1888). Weiteres über Firmen siehe Bevölkerung, Erwerb
Als Glasmaler war vor dem Ersten Weltkrieg Franz Simm bekannt.

Lage

Die Ortschaft Schelten liegt in etwa 565 m Meereshöhe an der Staatsstraße von Steinschönau nach Haida, von welcher im Ortsbereich Bezirksstraßen nach Ober-Preschkau und Blottendorf (seit 1890) abzweigen. Die Ortschaft Parchen liegt fast auf der gleichen Meereshöhe unweit südlich der genannten Staatsstraße. Vom Ort führt eine Gemeindestraße direkt nach Steinschönau und ein Fahrweg nach Sonneberg/Kreis Böhmisch-Leipa.

Bodengestalt

Das Gemeindegebiet von Parchen-Schelten ist eine Hochfläche mit durchschnittlich 560 bis 580 m Meereshöhe. Sie wird von einigen Erhebungen überragt, deren bedeutendste der Bildstein (634 m), der Große Tscheschkenstein oder Steinberg (628 m) mit der Schusterhöhle, und der Küh- oder Kühlberg (595 m) sind. Außerhalb der Gemeindegrenzen befinden sich der Steinschönauer Berg (624 m) und im Westen – direkt an Parchen anschließend- der Herrnhausberg mit dem Herrnhausfelsen.
Alle genannten Gipfel bestehen aus Basalt. Der interessanteste ist der Herrnhausberg (früher auch Kreuzberg genannt), der durch seine regelmäßigen, vier- bis sechseckig geformten, bis 20 cm dicken, 10 bis 15 m hohen Säulen aus kristallinischem, dichtem Strombasalt eine geologische Berühmtheit darstellt. Seinem Namen liegt die in der Volkssprache entstandene, charakterisierende Bezeichnung „Gehörn“ zugrunde, die im Tetschner Raum mehrfach vorkommt. In der Literatur ist bisweilen von den „Basaltorgeln“ die Rede, die bereits um 1910 unter Naturschutz gestellt wurden, nachdem früher ein erheblicher Abbau erfolgt war.
Die schönsten Fernblicke bieten außer dem Herrnhausfelsen der Kühlberg mit der seit 1930 bestehenden Kühlbergbaude und der Bildstein, der seit 1895 eine Sonntags-Gastwirtschaft und seit 1891 einen hölzernen Aussichtsturm sowie eine Bergwirtschaft mit Fremdenzimmern trägt.
Von der Gemeindefläche einschließlich Emanuelsberg entfallen rund 33% auf Wald und rund 60% sind landwirtschaftlich genutzt. Herrliche Waldwege führen durch die ausgedehnten Wälder der südlichen Nachbargemeinden Schaiba und Sonneberg (beide Kreis Böhmisch-Leipa). Parchen erhielt daher das Prädikat „Sommerfrische“. Wegen der exponierten Höhenlage der Gemeinde sprach man von „Parchener Lüftl“, „Scheltener Höhe“ und „Scheltener Klima“.

Gewässer und Trinkwasserversorgung

Entwässert wird das Parchen-Scheltener Gebirge hauptsächlich nach Osten zu durch den Parchner Mühlgraben, der bei Schaiba in den zum Polzen fließenden Sporka- und Rohnbach einmündet. Der Mühlbach speist den Mühlteich der ehemaligen Parchenmühle.

Trinkwasserversorgung: Infolge des Quellenreichtums von Parchen-Schelten verfügte fast jedes Haus im Keller über einen eigenen Quellenbrunnen, aus denen das Wasser geschöpft wurde. Außerdem gab es mehrere öffentliche Brunnen in den Ortschaften, die mundartliche „Pfützen“ genannt wurden, z.B. Heger-, Ickert-, Hünther-, Zosel-, Seidelpfütze. In einigen Häusern waren Wasserleitungen vorhanden.

Flurnamen

Brüchtrich (Sumpf beim Tscheschkenstein), Buchhübel, Hoher Hau, Keilholz, Hoher Wald, Prachterberg, Hutschen, Gratzlwiese, Hegerwiese, Richterplanl, Ziegelscheune, Baistätten, Das Siecht (Torfgelände mit kleinem Teich unterm Pachterberg).

Bevölkerung und Erwerb

Parchen ist der Ursprungsort der nördböhmischen Lustererzeugung, deren Anfänge um 1700 liegen und die ab 1724 fabrikmäßig betrieben wurde. Wie die Daten der Berufszählung von 1939 zeigen, war Parchen eine ausgesprochene „Industrie-Gemeinde“, denn 73,3% der Bevölkerung hatten ihr Auskommen durch Berufe der Wirtschaftsbereiche Industrie und Handwerk. Mit dieser hohen Quote stand Parchen unter den 90 Gemeinden des Kreises Tetschen nach Nieder-Preschkau (75,5%) an zweiter Stelle. Entsprechend hoch war die Quote der Arbeiter mit 64,7%.
Der Bereich Land- und Forstwirtschaft hingegen spielte nur eine geringe Rolle (4,5% der Bevölkerung). Könnte man die Wirtschafts- und Berufsstatistik auf die Ortschaften Parchen und Schelten aufgliedern, so würde sich der Prozentsatz von Industrie und Handwerk für Parchen allein noch etwas erhöhen. Für Schelten jedoch läge der Prozentsatz etwas niedriger, weil dort- im ehemaligen Kleinbauerndorf – immerhin 7 hauptberufliche Landwirte ansässig waren.
Die Arbeitnehmer Parchens und Scheltens fanden überwiegend in den ortsansässigen Lusterfabriken und in der Glashütte Stefan Hrdina Arbeit oder waren in den zahlreichen Parchener Heimwerkstätten der Glasveredlung tätig, von denen aus die Frauen die „Ware“ in sog. „Buckelkörben“ zu den Exportgeschäften bis nach Haida trugen. Ein Teil war allerdings auch in der nahen Glasstadt Steinschönau beschäftigt (meist in der Lusterfabrik Elias Palme).
Die Auszählung im Adressbuch von 1934 ergibt, dass von den rund 520 selbständigen Wohnparteien gut die Hälfte glaserzeugende und glasveredelnde Berufe ausübt. Am stärksten waren die Glasmaler, Glasmacher- und Glashüttenarbeiter, Glasschleifer und – kugler und Gürtler vertreten. Die Gesamtzahl der Beschäftigten in der Glasveredlung (einschließlich der Familienangehörigen in den Heimwerkstätten) war noch wesentlich größer.
Produktionsbetriebe: Die Kronleuchter-, Glasluster- und -lampenfabrik Christoph Palme & Co., Inh. Carl Hickisch ü. Söhne, war der größte Betrieb dieser Branche. Außerdem gab es die Lusterfabriken Theodor Palme (gegr. 1919) und Heinrich Jochmann, die Glasraffinerien Kajetan May u. Söhne, Ernest Palme d. Ä., Ernest Palme d. J., Heinrich Meltzer, Emil Günther u. Sohn sowie Friedrich Uhle u. Söhne, ferner die Rohglashütte Stefan Hrdina und die Aluminiumfabrik Pohl & Co. An glasveredelnden Heimwerkstätten waren vorhanden: 27 Glasmalereien und 5 Gürtlereien.
Als althergebrachte Handwerke bestanden eine Zinngießerei und eine Holzschnitzerei. Schon 1875 war der Spar- und Vorschussverein für Parchen-Schelten gegründet worden. Nach dem Ersten Weltkrieg unterhielt die Speditionsfirma Schenker & Co. eine Niederlassung. Außerdem hatte der deutsche Konsum „Einigkeit“ und der tschechische Konsum „Marx“ je eine Verkaufsstelle. Die Bezirkskrankenkasse Böhmisch-Kamnitz war mit einer Zahlstelle vertreten.
In den 20er Jahren wurde der Sitz des Distriktarztes von Meisterdorf nach Parchen verlegt (zuletzt MUDr. Karl Holzbauer).

Verkehr, Gastgewerbe, Sport

Bahnstation Parchen-Obersteinschönau seit 1903. Postamt Parchen seit 1888 einschließlich Schelten und Emanuelsberg. Autobusverbindungen täglich nach Steinschönau und Haida.
Gastgewerbe: 10 Gasthäuser, und zwar: „Zum Schelten“ (Ed. Palme, Nr. 215), „Parchenschenke“ mit Saal (Rösler). „Parchenmühle“ (Gastwirtschaft noch vor 1945 aufgelassen), „Zum Batzen“, früher „Zur frohen Aussicht“, mit Saal und Einrichtung für Theater und Bühne (Liebig, Nr. 172), Gasthaus Ernst Scholze (Nr. 70), Gasthaus Glanz mit Saal (Nr. 71), Gasthaus Reinert, Gasthaus Franz Scholze (Nr. 122), Gasthaus Lehnert (Nr. 165) und „Kühlbergbaude“ (Lorenz, Nr. 122). Die Gasthäuser „Parchenmühle“ und „Zum Adler“ (auch „Pflaume“ genannt) waren in früherer Zeit als Pferdewechselstadtion von Bedeutung. Die „Parchenschenke“ war das größte Gasthaus der Umgebung; hier trafen sich die Glashändler beim Kartenspiel.
Sportanlagen: Sportplatz, Rodelmöglichkeit. Die Badeanstalt „Saubad“ im Mühlteich war schon vor dem Ersten Weltkrieg aufgegeben worden.

Pfarrei, Matriken, Kirche

Die Ortschaften Parchen und Schelten gehörten von ihrer Gründung an zur Pfarrei Steinschönau. Im Jahre 1802 wurde in Parchen eine Lokalie errichtet, die vier Jahre später zur selbständigen Pfarrei mit dem Sprengel Parchen, Schelten und Emanuelsberg erhoben wurde. Letzte Geistliche seit 1918 waren: Dechant Wenzel, Pfarrer Anton Vater, Dechant Koutzki und Pfarrer Bluth. Die Matriken der Pfarrei Parchen sind seit 1784 erhalten; ältere Eintragungen enthalten die seit 1715 vorhandenen Kirchenbücher der Pfarrei Steinschönau.
Die Pfarrkirche St. Laurentius entstand in den Jahren 1780/81 an Stelle eines hölzernen Gotteshauses. Baumeister war Wenzel Kosch aus Tetschen. Die Kosten in Höhe von 3500 Gulden trugen die Einwohner von Parchen und Achelten, die den Bau bereits seit 1764 geplant hatten. Der erste Gottesdienst fand 1782 statt. Die Kirche ist einschiffig und wird von einem 1884 errichteten rechteckigen Turm mit Zwiebelhaube über dem auf der Südseite befindlichen Portal überragt; 1855 wurde die Turmuhr eingebaut. Im Kircheninnern befinden sich einige schöne spätbarocke Fresken. Die Altarbilder St. Laurentius und St. Johannes von Nepomuk sollen von künstlerischen Wert sein.
Das Laurenzi-Kirchenfest von Parchen fand jeweils am 10. August, dem Tag des Kirchenpatroziniums statt. An mehreren Bitttagen erfolgten Prozessionen zu bestimmten Feldkreuzen. Gedenkkreuze und Statuen: Statue des hl. Johannes von Nepomuk bei May, Kreuz bei Uhle, Ecce-Homo-Kreuz beim Weidlich Bauer, Antonibildstock in Emanuelsberg, Marienstatue mit Jesukind zwischen Herrnhausberg und Parchen, Kreuz bei Rösler. Die Inschrift des letzteren besagt, dass es zu Ehren des Glashändlers Georg Franz Kreybich von dessen Nachkommen errichtet wurde, der als erster das böhmische Glas anfangs per Schubkarre, dann per Fuhrwerk, in ferne Länder transportierte. Die Familie lebte später teils in Steinschönau. Drei Feldkapellen standen an der Staatsstraße Steinschönau- Haida, davon eine in der Nähe des Herrenhausfelsens.
Seit Errichtung der Kirche haben Parchen und Schelten ihren eigenen Friedhof; früher erfolgten die Beerdigungen in Steinschönau.

Schule

Gleichzeitig mit der Pfarrei wurde 1806 in Parchen eine Schule eröffnet. Im Jahre 1833 unterrichtete der Lehrer Josef Hacker. Die Schule war 1883 dreiklassig und erhielt 1895 ein neues Gebäude. Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte die Beschränkung auf zwei Klassen und die Einrichtung eines Kindergartens. Zum Schulsprengel gehörten die Gemeinde Parchen einschließlich Emanuelsberg sowie 6 Häuser von Steinschönau.
Außer der deutschen Schule bestand seit den 20er Jahren eine zweitklassige tschechische Minderheitenvolksschule und ein tschechischer Kindergarten.

Verwaltung

Die Ortschaften Parchen und Schelten hatten bis 1849 eigene Dorfrichtereien. Als früheste namentlich nachweisbare Richter sind zu nennen: in Parchen Christian Joseph Palme 1718, in Schelten Matthias Locke 1625. Bei der Konstituierung der modernen Gemeindeverwaltung im Jahre 1849 wurden die beiden Ortschaften zur Gemeinde „Schelten“ zusammengeschlossen. Dieser Gemeindename war ein knappes dreiviertel Jahrhundert amtlicherseits üblich, jedoch setzte sich nach und nach die Bezeichnung „Parchen-Schelten“ durch. Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte die amtliche Einführung des Gemeindenamens „Parchen“ unter welchem die Firmen der Glasindustrie weithin bekannt waren. Die Ortschaft Schelten wurde daraufhin nur mehr im innerörtlichen Sprachgebrauch und nicht einmal mehr in den amtlichen Ortsverzeichnissen unterschieden. Ende der 20er Jahre erfolgte die Eingemeindung der angrenzenden, bis dahin zur Gemeinde Sonnenberg/Kreis Böhmisch-Leipa gehörigen kleinen Ortschaften Emanuelsberg sowie die einheitliche Durchnummerieren der Häuser aller drei Ortschaften der Gemeinde.
Gemeindevorsteher bzw. Bürgermeister der Gemeinde Parchen waren seit 1918: Ernest Heller, Emil Günther, Josef Rudolf und Arno Pohl.
Gemeindepersonal: Gemeindesekretär und 1 Wachmann. – Elektrisches Licht wurde nach dem Ersten Weltkrieg in Parchen eingeführt.

Kulturpflege und Vereinsleben

Vereine: Arbeiter-Turn- und Gesangsverein, Deutscher Turnverein, Frauenbeerdigungsverein, Freiwillige Feuerwehr, Innung, Museumsverein zur Förderung der heimischen Industrie, Ortsgruppe des Bundes der Deutschen, des Metallarbeiterverbandes, des Verbandes Deutsche Arbeitnehmergewerkschaft, des Verbandes der Glas- und Keramikarbeiter, des Verbandes tschechischer Glasarbeiter, des Vereins proletarischer Freidenker, Schulhellerverein, Tschechischer Arbeiter-Turnverein, Musikkapelle.
Brauchtum: Osterreiten zusammen mit Steinschönau; Segnung der Reiter und Pferde bei der dortigen Kirche. Laientheaterspiel.
Sonstiges: Gemeindebücherei und Glasmuseum vorhanden.

Sehenswertes

Interessante Glashändler-Häuser des 18. und 19. Jahrhunderten mit ausgebautem Stockwerk bzw. mit Mansarden in den hohen Doppel-Walmdach-Giebel, wie auch für Steinschönau und Haida typisch. Häuser wegen der Gebirgslage an der Westseite meist zusätzlich holzverkleidet.

Kriegerdenkmal auf halber Höhe des Kühlberges. Vom Kühlberg Panorama besonders nach Westen und Osten.

Nachwort (Ausklang)

Die Kriegsverluste der Gemeinde Parchen betrugen – soweit feststellbar- 30 Gefallene und Vermisste, das sind 5,7% der männlichen Bevölkerung von 1939. – Im Jahre 1959 lebten rund 45% der ehemaligen Einwohner in der Bundesrepublik Deutschland, rund 35% in der DDR und 17% (meist zurückgebliebene Facharbeiter) noch in der CSSR.
Nach der neuen tschechischen Gemeindeeinteilung hat die Gemeinde Prácheň den gleichen Gebietsumfang wie das frühere Parchen. Im Jahre 1961 gab es dort 134 ständig bewohnte Häuser mit 595 Personen gegenüber 225 Häuser mit 1127 Einwohnern im Jahre 1939. die Gemeinde gehört heute zum Kreis Böhmisch-Leipa.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam Parchen zur Tschechoslowakei zurück. Die deutschen Bewohner wurden bis 1946 vertrieben und der Ort erhielt den Namen Prácheň (deutsch Parchen)

Heute

Prácheň (deutsch Parchen) ist ein Dorf, ein Ortsteil von Kamenický Šenov im Bezirk Česká Lípa. Es liegt etwa 1,5 km südöstlich von Kamenický Šenov (deutsch Steinschönau). Hier verläuft die Straße I/13. Es gibt 186 Adressen und 424 Einwohner leben hier dauerhaft.

[Tetschen-Bodenbach – Heimatverband Kreis Tetschen-Bodenbach“ (Hrsg.) „Heimatkreis Tetschen-Bodenbach. Ein Buch der Erinnerung“ – 1969
Alfred Herr – Heimatkreis Tetschen-Bodenbach: Städte und Gemeinden“ – Heimatverband Kreis Tetschen-Bodenbach e.V.“ 1977 – S.598-605

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