Hilgersdorf

  • Beitrags-Kategorie:Landkreis Schluckenau
  • Beitrag zuletzt geändert am:17. Juni 2023
  • Lesedauer:11 min Lesezeit

Geschichte

Der ab 1471 erwähnte Ort (auch Hielgersdorf;1900 bis 1910); wohl vom altdeutschen Namen Hildegard), die nördlichste Gemeinde der alten Monarchie, der Tschechoslowakei und des Sudetenlandes, war von einer Reihe von Hügelketten des Lausitzer Gebirges begrenzt, von denen der Buchberg mit 503 m der höchste und nördlichste Punkt der Gemeinde war. An der Straße über der Grenze steht das wuchtige Zollamt, dahinter Pechs Wirtschaft, ein Stück weiter an der Straße die Gartenmühle. Über Martinels Busch schaut die Steinrampe Vetters Steinbruch hervor. Vor dem Wald erblickst du Martinels Hof und dahinter schaut das Häuschen von Karin Johann hervor. Folgt dein Blick dem Weg, von der Gartenmühle den Berg hinauf zu den Häusern, das strohgedeckte Haus von Kleines, an den Häusern von Riedelschneiderin, Garnschierte, Sehnieren-Meissnern, bei Hentschel, Schierz, Nitzschen, früher Sauern vorbei. Weiter führt der Weg an Bergschuster (Schmidt) Haus, am Anwesender Pantoffel-Guste (Hentschel), an Sagehetscheln (Hentschel, und an Helds (Schlenkrich) Wirtschaft vorbei. Dein Blick erfaßt Gärtnersch. Göbels (Hille Umgebindehäusel), Fiedlers Haus und den großen Vogelkirschbaum, die Häuser von Schönes, Schelzigs, Schneider, Karls und Jünglings.[1]

Er war von den Bahnhöfen Hainspach und Obereinsiedel sowie auch von den sächsischen Orten Oberneukirch, Neustadt in Sachsen in Sebnitz erreichbar. Mit 1355 Einwohnern (1930: 1580) und 290 Häusern zum Bezirksgericht Hainspach gehörig, hatte dieses Dorf neben seiner Landwirtschaft und Viezucht als erwähnenswerte Industriebetriebe Zigarettenmaschinenfabrik Heinrich Riedel, die Maschienfabrik Gustav Knobloch (1903-1976) mit etwa 90 Arbeitern (z.b. Wäschemangeln), drei Gürtlereibetriebe (Joh. März, Heinrich und Johannes Riedel), die hauptsächlich Beschläge herstellten, vier oder mehr Kunstblumerzeuger (Johannes, Franz, Josef, Pauline Schierz, Blumrich) und eine Messerschmiede (Karras). Die Hilgersdorfer Gürtler waren berühmt.

Viele gingen in die Gablonzer Industrie. Hans Maaz hat heute (1977) einen Fachbetrieb für Metallgestaltung in Stuttgart. Einige Bewohner fanden ihren Erwerb in den auswärtigen Fabriken. Eine Spezialität des Ortes war die handwerkliche oder eher künstlerische Herstellung von Tabakspfeifen, die guten Absatz und weite Verbreitung fanden. Eine solche wundervoll geschnitzte Pfeife von dem Schnitzer Franz Groß ist in der Schluckenauer Heimatstube in Weißenhorn zusehen. Die Pfeifen wurden aus Lindenholz in reiner Handarbeit geschnitzt. Der Verkaufserlös war allerdings bescheiden. Hilgersdorf gehörte zur Pfarrei Lobendau und hatte seit 1866 ein neuartiges Schulgebäude. Die Schule war bis 1872 einklassig, ab 1882 dreiklassig und seit 1892 vierklassig, zuletzt dreiklassig.

Vor der Schule war ein schönes Kriegerdenkmal von 1914 bis 18.
Hilgersdorf wurde durch die alljährlich um die Weihnachtszeit aufgeführten Märchenspiele des Deutschen Turnvereins sowie die vom Theater-Dilettanten-Verein von Zeit zu Zeit veranstalteten „Passionsspiele„ weit bekannt.

Zum Ende des Zweiten Weltkrieges haben die Truppen der sowjetischen-polnischen Eroberer erstmalig in Hilgersdorf das Gebiet unseres Heimatkreises betreten, was die Tschechischen Bewohner als „Befreiung der Tschechoslowakei„ bezeichnen. Heute besteht der Ort amtlich nicht mehr und gehört zu Lobendau. Die Bauernhöfe sind dem Erdboden gleichgemacht. Die Fluren werden heute als Weiden für Rinder – und Schafherden benutzt. Westlich von Hilgersdorf war das auf Wanderwegen erreichbare Waldrestaurant des Lerchenberges und das weiter südlich auf dem Güttelberg (424 m) gelegene Sommerrestaurant oftmals Ziel von Tageswanderungen. Es darf hier erwähnt werden, dass genauso westlich von Lobendau der Raubenberg (460 m) ein besuchter Ort war, das gleichzeitig die Grenze nach Sachsen bildete. Auf ihm soll ein Raubschloss gestanden haben, das von den Lausitzer Sechsstädten zerstört wurde.

Wilhelm Pfeifer „Niederlandhefte -Schriftenreihe des Bundes der Niederländer“ S.47/48 – HEFT 9 – 1977
Karl Richter „Geschichte des Niederlandes“ 1960
„Unser Niederland“ – Ausgabe 698 – Januar 2008 – S.8/9 [1] Horst Schmidt

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann die Vertreibung der fast ausschließlich deutschen Bewohner. Ende 1946 waren im Gartenmühldörfel noch zwei Häuser zeitweilig, in Abhängigkeit der Laune der Dorfgewaltigen, bewohnt. Hilgersdorf wurde im Jahre 1947 in Severní umbenannt. 1950 wurde das entsiedelte Dorf in die Gemeinde Lobendava im Okres Rumburk eingemeindet und seit 1961 ist es dem Okres Děčín zugeordnet. Große Teile des Ortes, insbesondere das sich bis zur Grenze mit der DDR erstreckende Oberdorf wurden abgetragen, die Häuser abgerissen, angelegte Gärten, Wege und Wassergräben mit Planierraupen eingeebnet und der Bachlauf verändert, so das heute nur die früheren Bewohner möglich ist, ungefähr zu bestimmen, wo das eine oder andere Haus, der ein oder andere Garten sein Platz hatten.[1]

Heute

Severní (deutsch Hilgersdorf) ist ein Ortsteil der Gemeinde Lobendava (deutsch Lobendau) in Tschechien. Er liegt sechs Kilometer nordöstlich von Dolní Poustevna (deutsch Niedereinsiedel) im Schluckenauer Zipfel an der Grenze zu Deutschland und gehört zum Okres Děčín (deutsch Tetschen). Bei Severní befindet sich auf ♁51° 3′ N, 14° 19′ O der nördlichste Punkt des geschlossenen tschechischen Sprachgebietes, gleichzeitig ist Severní das nördlichste Dorf des Landes.

In den fünfziger Jahren, vor dem Bau des Stacheldrahtzaunes auf tschechischer Seite, gab es noch einmal eine kurze Periode, wo sich Vertriebene und noch in der Heimat verbliebenen Deutschen auf der Zollstraße an der Grenze treffen durften.

Seit der Zerstörung von Fukov (deutsch Fugau) im Jahre 1960 wurde Severní zum nördlichsten Dorf der Tschechoslowakei. Zwischen 1980 und 1990 war Severní ein Ortsteil von Dolní Poustevna, seit dem 24. November 1990 gehört das Dorf wieder zu Lobendava. 1991 hatte Severní 41 Einwohner. Im Jahre 2001 bestand das Dorf aus 24 Wohnhäusern, in denen 54 Menschen lebten.

Im Jahre 2002 wurde ein Obelisk in Steinigtwolmsdorf (Sachsen) in Richtung alte Heimat aufgestellt. Er soll der Nachwelt als Zeitdokument von der gewaltsamen Vertreibung der Deutschen aus ihrer Heimat dienen. Er soll das Recht auf Heimat bekunden, soll uns an sie erinnern, soll Mahnung sein, und die nachfolgenden Generationen an das erlittene Unrecht ihrer Vorfahren erinnern.

Ende 2006 erlangte der Ort überregionale Aufmerksamkeit, als bei eBay das seit Beginn des 20. Jahrhunderts verschollen geglaubte und später im Besitz der Volksschule wiedergefundene, älteste Gerichtsbuch des Dorfes versteigert wurde. Das 1995 bei einem Einbruch in das Bezirksarchiv Děčín gestohlene Archival wurde dem Archiv im Januar 2010 zurückgegeben.

Bücher zur Heimat

In einer Schriftenreihe berichtet der Autor Dr. Jochen Lebelt über einen Ort, den es so seit 1945 nicht mehr gibt. Der Nachwelt soll das einst überwiegend mit deutscher Bevölkerung pulsierende Dorf nahegebracht werden. Für viele ist es heute Erinnerung, für viele der Ort ihrer Ahnen. Heute der nördlichste Ort Tschechiens. Der Autor stützt sich auf Berichte lebender Zeugen, Dokumente unterschiedlicher Art, die Ortschronik und anderweitige Veröffentlichungen. In dieser Ausgabe Hilgersdorf IV befasst sich der Autor mit der Gerichtsbarkeit in Hilgersdorf und schildert einige besonderes Interesse verdienende Fälle, die die ganze Breite einst in Hilgersdorf begangenen Unrechts nachempfinden lassen. Das Einleitungskapitel „Zur Geschichte des Dorfes Hilgersdorf“ unternimmt den Versuch, die 300-jährige Richterdynastie Herzog/Herzig in Chronologie zu bringen.

Hilgersdorf Band I – Band VIII – Impressionen und Erinnerungen aus dem ehemals nördlichsten Ort Böhmens – Ausgaben 2016 – 2023 – Preis: 8,00 €

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