Ullrichsthal

  • Beitrags-Kategorie:Landkreis Tetschen-Bodenbach
  • Beitrag zuletzt geändert am:5. Juli 2023
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Gemeindebereich

Die Gemeinde Ullrichsthal – Gerichtsbezirk Böhmisch-Kamnitz – bestand ausschließlich aus der Ortschaft Ullrichsthal. Innerörtlich wurden u. a. die Ortsteile Vorder- und Hinterbrache, Dörfel, Am Schlössel, Rattei, Obere Reihe und Untere Reihe unterschieden.
Mundartliche Aussprache des Ortsnamens: „Broche“ oder selten „Ulrichsdol“.
Gesamtfläche der Gemeinde: 212 ha.

Ortsgeschichte

Vom 14. bis ins 16. Jahrhundert gehörte das Gebiet des nochmaligen Ortes Ullrichsthal als Bauernland zur Ortschaft Meistersdorf und wurde nach Aufkauf mehrerer Bauerngüter durch die Herrschaft – beginnend mit 1586 – vom Meierhof Meistersdorf bis Mitte des 18. Jahrhunderts landwirtschaftlich genutzt. Über die Entwicklung Bistum diesem Zeitpunkt ist im Rahmen der Geschichte von Meistersdorf berichtet. (S. 517-523) Die eigenständige Geschichte von Ullrichsthal beginnt mit dem Jahre 1751. in diesem Jahr ließ der Besitzer des Gutes Meistersdorf, der Freiherr Peter Christoph von Wallbrunn, seinen Sohn auf den Namen Ullrich taufen.

Zu Ehren des als Taufpate fungierenden Fürsten Ullrich von Kinsky’schen (Herrschaftsbesitzer von Böhmisch-Kamnitz) begründete der Freiherr von Wallbrunn eine kleine Ortschaft, welcher er den Namen Ullrichsthal gab. Die Baustellen für die Ansiedlung in dem neuen Ort wurden von den zum Meierhof Meistersdorf gehörenden Feldern abgetrennt.

Der weitere Ausbau des zunächst sehr kleinen Ortes Ullrichsthal setzte bald nach 1764 ein. In diesem Jahre wurde das Gut Meistersdorf von der Familie Wallbrunn an die Herrschaft Böhmisch-Kamnitz verkauft, die bald die Bewirtschaftung des Meierhofes und die Bierbrauerei aufgab und die Hoffelder allmählich an Siedlungswillige verteilte, zuerst in Pacht und dann als Eigentum. Einige Gebäude des Meierhofes gingen an Hieronymus Fritsche über, das Schlössel kaufte der Glasschneider Johann Josef Fritsche. Ein beträchtlicher Teil der Felder muss längere Zeit brachgelegen haben, denn im örtlichen Sprachgebrauch wurde der neuen und sich rasch erweiternden Ortschaft Ullrichsthal die Bezeichnung „Brache“ gegeben. In der 1781/82 erstellen Josefinischen Karte ist der Ortsname als „Prache vel“ Häuser im Ullrichsthal“ eingetragen.

Nach den Feststellungen des Topographen Schaller (1787) hatte „Ullrichsthal“ bereits 75 Nummern und der Topograph Sommer (1833) berichtete von 89 Häusern mit 613 Einwohnern in diesem Dominikaldorf, die meist Glasarbeiter waren. Es bestand ein obrigkeitliches Försterhaus.

Im Jahre 1830 wurde Ullrichsthal von den Brüdern Görner eine Glasraffinerie erbaut, die sich 1841 im Besitz von Franz Pelikan befand und die ab 1855 von der Firma Clemens Rasch und. Sohn übernommen und erweitert wurde.

Für 1841 sind mehrere Glassraffinerien, Glasschneider und Glasgraveure bezeugt. Im Jahr 1885 errichtet die Firma Clemens Rasch eine eigene Glashütte mit 1 Ofen. Ein Industrieverzeichnis von 1886 benennt die Glassraffinerien Clemens Rasch und Sohn, Franz Wagner, Hermann Müller und Josef Hegenbarth.

Nach der Volkszählung von 1869 und 1890 hatte Ullrichsthal 731 bzw. 825 deutsche Einwohner; der Höchste Bevölkerungsstand wurde 1910 mit 898 Einwohnern erreicht. Nach dem Ersten Weltkrieg bildete sich durch Zuzug von Arbeitern eine tschechische Minderheit, die 1930 auf 140 Menschen (16,1 %) angewachsen war.

Die häufigsten Familiennamen in Ullrichsthal waren 1934: Oppitz, Arlt, Heller, Hoffmann, Marschner, Märtin, Wagner, Friedrich, Gürtler, Hegenbarth, Horn, Richter und Ritschel.

In Ullrichsthal wurden geboren: der Glaskugler Ignaz Pietsch sein. (1790-1842), Stammvater der berühmten Steinschönauer Glasgraveurfamilie Pietsch; die bedeutendsten Glasgraveure Ludwig Bienert (1810-1896) und Franz Krause (1872-1959), letzterer spezialisiert auf Jagdgravur, Fachlehrer an der Steinschönauer Glasfachschule; der Bildhauer Ernst Hegenbarth (1867- 1944), Professor und Präsident der Wiener Künstlergenossenschaft; MUDr. Wilhelm Neumann (1877-1919), Tuberkulosespezialist, Professor an der Universität Wien; der Kapellmeister Anton Horn; Hermann Geißler 1863-1939), seit 1920 Werkmeister an der Kunstgewerbes Jule in Stuttgart.

Lage

Die Ortschaft Ullrichsthal liegt am obersten Laufe des Absbaches in 500 bis 550 m Meereshöhe an der Bezirksstraße von Steinschönau nach Gersdorf. Im Westen grenzt Ullrichsthal an die Gemeinde Meistersdorf, mit der es siedlungsmäßig zusammengewachsen ist. Die Entfernung nach Tetschen beträgt rund 16 km, nach Böhmisch-Kamnitz 4 km.

Bodengestalt

Die für die Nachbargemeinde Meistersdorf gegebene Beschreibung (Buch Seite) gilt hinsichtlich der Geländelage und Höhenpunkte auch für Ullrichsthal. Zu ergänzen sind der Vogelsberg (553 m) und der bewaldete Grassenberg, welcher die nächsten Anhöhen östlich der Ortschaft darstellen. Die Gemeindefläche ist zu gut 25 % bewaldet und wird zu knapp 70 % landwirtschaftlich genutzt. Die Forsten liegen im nördlichen und südlichen Teil der Gemeinde und wurde bis 1945 – soweit zur Kinsky‘schen Forstheger im Ortsteil Hinterbrache beaufsichtigt. Eine Jagdhütte stand im Forst.

Gewässer und Trinkwasserversorgung 

Der etwas oberhalb von Ullrichsthal am Susteichberg entspringende Absbach durchfließt den Hauptteil der Ortschaft, wo sich auch der Hiekschteich befand.
Trinkwasserversorgung: Wasserleitung, erbaut nach dem Ersten Weltkrieg.

Flurnamen

Trübe, Ober- und Niederreihe (-Reihe), Vörderbrache, Hinterbrache, Zehnblöcke, Winterseite, Welchl, Forst, Hackelberg, Dörfel, Knöchel, Fuchsloch, Alle, Am Schlössel, Hofgarten, Rattei.

Flurnamen der Hofefelder von 1763: Jäckelstück, Vogelberg, Großes Paradies, Kleines Paradies, Großer Berg, Blanckenstück, Breiter Busch, Kohliche, Stechel, Oberer Haan, Unterer Haan, Roter Hübel, Petterbüschel.

Bevölkerung und Erwerb

Ullrichsthal hat von seiner 1768 erfolgten Gründung an einen gemischtwirtschaftlichen Charakter gehabt, denn neben den landwirtschaftlichen Ansiedlern auf den Feldern des ehemaligen Meistersdorfer Meierhofes ließen sich gleichzeitig auch zahlreiche Häusler nieder, welche Glasveredlung betrieben. Dieser Erwerbszweig verstärkte sich besonders im 19. Jahrhundert immer mehr, sodass schließlich 1939 nun mehr 17,3 % der Bevölkerung dem Bereich Land- und Forstwirtschaft angehörten. laut Adressbuch von 1934 gab es lediglich 4 hauptberufliche Landwirte. Gemäß der Zählung von 1939 hatte von diesen einer mehr als 20 ha Fläche, die übrigen zwischen 5 und 20 ha. Verhältnismäßig sehr zahlreich waren die kleinen Landwirtschaften, die als Nebenerwerb hauptsächlich von Arbeitnehmern betrieben wurde.
Die hohen Anteile, die auf den Wirtschaftsbereich Industrie und Handwerk sowie auf die Gruppe der Arbeiter entfallen (59,3 bzw. 54,5 %) kennzeichnen Ullrichsthal. Die Arbeitnehmer hatten allerdings nur teilweise ihre Arbeitsplätze im Ort selbst, sondern waren großteils in der Glasindustrie von Steinschönau beschäftigt. Einzelne fuhren bis Böhmisch-Leipa, Böhmisch-Kamnitz und Tetschen-Bodenbach zur Arbeit.

Von den im Adressbuch 1934 aufgeführten 140 Wohnparteien hatten 40 Parteien glasveredelnde Berufe, und zwar überwogen Glaskugler und Glasmalerei.
Die wichtigsten Betriebe waren: Rohglasfabrik Clemens Rasch und Sohn sowie die Glassraffinerien Clemens Rasch und Sohn, Emmerich Matejka, Ernst Friedrich, gegr. 1818, Müller & Friedrich, gegr. 1892, Franz Wagner (auch Metallwarenerzeugung), neben denen es noch mehrere kleinere Raffinerien gab. Die 1937 gegründete Nordböhmischen Hohlglaswerke bestanden nur kurze Zeit. An Heimwerkstätten bestanden 6 Glasmalereien, 4 Glaskuglereien und 1 Glasgraveurwerkstatt sowie 2 Gürtlereien und als althergebrachtes Handwerk 1 Korbflechterei.
Seit den 20er Jahren bis 1938 bestand ein tschechischer Konsum für die zugewanderten tschechischen Arbeiter.
Seit den 30er Jahren hatte die bestehende Buchbinderei Seidel die Sparte Buchhandel hinzugenommen.

Verkehr, Gastgewerbe, Sport

Bahnstation: Ullrichsthal seit 1903 mit zwei Rangiergleisen zur Glasfabrik Rasch. Postamt Ullrichsthal. Autobusverbindung nach Gersdorf, nach Steinschönau und Böhmisch-Kamnitz sowie nach Böhmisch-Leipa.
Gastgewerbe: 6 Gasthäuser, und zwar: „Zum Hirschen“ mit Saal (Walter, Nr. 3), „Zur Brachenschenke“ (Melzer, Nr. 29), „Zur Eisenbahn“ (Eiselt, Nr. 145), Knechtel (Nr. 128), Weidlich (Nr. 119) und Günther (Nr. 14).
Sportanlagen: Turnsäle im Gasthaus „Zum Hirschen“ und in der Schule, Turnplätze bei Gasthof Günther und auf Raschens Wiese.

Pfarrei, Matriken, Kirche

Obwohl Ullrichsthal auf Gründen entstanden ist, die bis Mitte des 18. Jahrhunderts ein Teil vom Meierhof waren (ursprünglich als Rustikalbesitz, dann als herrschaftliche Meierhofsfelder), wurde der damals neu gegründete Ort nicht nach Wolfersdorf, wohin Meistersdorf seit dem Mittelalter kirchlich gehört, sondern nach dem näher gelegenen Steinschönau eingepfarrt. Nach Angabe von Sommer (1833) gehörte allerdings ein kleiner Teil von Ullrichsthal zur Pfarrei Wolfersdorf.

Die bei der Steinschönauer Pfarrei Johannes d. T. geführten Matriken für Ullrichsthal sind seit der Ortsgründung (1764) vollständig erhalten. (Die Steinschönauer Matriken selbst beginnen bereits 1715).

Trotz der Pfarrzugehörigkeit nach Steinschönau wurde das römisch-katholische Kirchenfest gemeinsam mit Meistersdorf am ersten Septembersonntag begangen. Das altkatholische Kirchenfest fand am ersten Maisonntag ebenfalls zusammen mit Meistersdorf statt.

Gedenkkreuze standen gegenüber der Villa des Fabrikanten Rasch (Nr. 62) und beim Fußweg-Bahnübergang Richtung Steinschönau, eine Statue Johannes des Täufers neben dem Friedhof.

Friedhof: Ullrichsthal hat einen eigenen Friedhof mindestens seit 1883; wahrscheinlich bestand er aber schon früher.

Zuvor wurden die Ullrichsthaler in Steinschönau beerdigt.

Schule

Der erste Schulunterricht wurde bald nach der Ortsgründung (1764) im ehemaligen herrschaftlichen Brantweinhaus (später Gasthaus „Zum Hirschen“) erteilt, weshalb dieses Gebäude noch lange „Schulhaus“ genannt wurde.
Im Jahre 1833 bestand in Ullrichsthal eine zu Steinschönau gehörige Filialschule, an der Josef Peschke als Lehrer tätig war. Ab 1883 bis 1945 ist die Schule als zweitklassig nachgewiesen. Zum Sprengel gehörte nur die Gemeinde selbst. Nach dem Ersten Weltkrieg bis 1938 bestand außerdem eine tschechische Minderheitenvolksschule für Ullrichsthal und Meistersdorf.

Verwaltung

Über die Verwaltungsverhältnisse von Ullrichsthal vor Festlegung der modernen Gemeindeeinteilung ist wenig bekannt. Es ist anzunehmen, dass der Ort eine eigene Richterei hatte, denn 1765 erhielt Ullrichsthal ein eigenes Grundbuch. Im Jahre 1849 wurde die Ortschaft Ullrichsthal der politischen Gemeinde Meistersdorf zugeteilt, jedoch bereits um 1878 bis 1880 zur selbständigen politischen Gemeinde erhoben; 1854 war die amtliche Schreibweise des Ortsnamens mit Doppel-L eingeführt worden.
Gemeindevorsteher bzw. Bürgermeister seit 1918 waren: Gustav Roenelt, Anton Scheibner, Franz Kny, Eduard Oppitz und Adolf Seidel. In den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges wurde Ullrichsthal mit Meistersdorf verwaltungsmäßig zusammengeschlossen.
Elektrischer Strom wurde in Ullrichsthal und Meistersdorf bald nach der Jahrhundertwende durch eine gemeinsame Elektrizität Genossenschaft eingeführt.

Kulturpflege und Vereinsleben

Vereine: Deutscher Turnverein, Frauenbeerdigungsverein, Freiwillig Feuerwehr, Gesangsverein „Fröhliche Sänger“, Jagdgesellschaft, Schachklub, Theater-Dilettantenverein, Musikkapelle, Brauchtum: Teilnahme am Steinschönauer Osterreiten, Böllerschießen zu Ostern, Osterkonzert. Im Jahre 1936fand zusammen mit Meistersdorf eine 500-Jahrfeier des Bestehens von Meistersdorf statt.
Sonstiges: Gemeindebücherei vorhanden, Kinovorstellungen sowie Aufführungen von Wanderbühnen und vom örtlichen Theater-Dilettantenverein im Saalbau des Gasthauses „Zum Hirschen“.

Sehenswertes 

Die Reste der Bauten des ehemaligen Schlössel, des Meierhofes und des Bräuhäusel (Haus Nr. 1-3) waren bis in die 30er Jahre zu sehen. Der Meierhof stand in der Rattei, das Bräuhäusel gehörte zum Anwesen des Gasthauses Walter. – Kriegerdenkmal für die Toten des Ersten Weltkrieges. – Gemeindehaus mit Glockentürmchen (Ausläuten beim Feueralarm, bei Todesfällen, zu Mittag und zu Abend).

Nachwort (Ausklang)

Die Kriegsverluste von Ullrichsthal betrugen 21 Gefallene und Vermisste, das sind 6,2 % der männlichen Bevölkerung von 1939. im Jahre 1959 lebten 44 % der ehemaligen Einwohner in der Bundesrepublik Deutschland, 50 % in der DDR und 5 % (meist Facharbeiter) noch in der ČSSR.
Nach dem neuen tschechischen Gemeindeverzeichnis bilden die Ortschaften Nový Oldřichov (deutsch Ullrichsthal) und Mistrovice (deutsch Meistersdorf) die Gemeinde Nový Oldřichov. Die Ortschaft Nový Oldřichov hatte 1961 443 Bewohner gegenüber 724 Einwohnern in Ullrichsthal im Jahre 1939.
Meistersdorf-Ullrichsthal gehört heute ebenso wie Steinschönau, Parchen, Ober- und Nieder-Preschkau zum Kreis Böhmisch-Leipa.

Tetschen-Bodenbach – Heimatverband Kreis Tetschen-Bodenbach (Hrsg.) »Heimatkreis Tetschen-Bodenbach. Ein Buch der Erinnerung« – 1969
Alfred Herr »Heimatkreis Tetschen-Bodenbach: Städte und Gemeinden. Heimatverband Kreis Tetschen-Bodenbach e.V.« 1977 – S.702-705

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam Ullrichsthal zur Tschechoslowakei zurück. Die deutschen Bewohner wurden bis 1946 vertrieben und der Ort erhielt den Namen Nový Oldřichov (deutsch Ullrichsthal)

Heute

Nový Oldřichov (deutsch Ullrichsthal) ist eine Gemeinde des Okres Česká Lípa in der Region Liberec im Norden der Tschechischen Republik, südlich des Lausitzer Gebirges. Sie liegt etwa drei Kilometer südwestlich von Kamenický Šenov (deutsch Steinschönau) im Tal des Baches Bystrá (deutsch Absbach).

Die Gemeinde Nový Oldřichov besteht aus den Ortsteilen Mistrovice (deutsch Meistersdorf) und Nový Oldřichov (deutsch Ullrichsthal), die zugleich auch Katastralbezirke bilden